Der Poppostein
Der Poppostein
Nicht weit entfernt vom vorgeschichtlichen Weg, dem späteren Heer- und Ochsenweg und der heutigen Landesstraße 317, liegt in der Gemeinde Sieverstedt bei Helligbek ein markantes Zeichen aus der Jungsteinzeit, der Poppostein, auch Taufstein genannt. Er ist neben vielen anderen Funden ein Zeugnis dafür, dass sich vom 4. bis 2. Jahrtausend v. Chr. Geburt, also in der jüngeren Steinzeit, auch im Kirchspiel Sieverstedt eine dichte Besiedlung sesshafter Bauern nachweisen lässt. Wie alle Großsteingräber lag auch dieses Grab unter einem Erdhügel, von dem nur noch eine flache eingefriedigte, kantig abgepflügte Erhöhung vorhanden ist, die mit Gras, Gestrüpp und einem knorrigen Dornbusch bewachsen ist.
Heute bietet es sich dem Besucher als freistehende Grabkammer dar, die aus 6 Tragsteinen besteht, 2 an jeder Seite, einem kleineren am Südende und einem größeren am Nordende. Alle Steine stehen mit der flachen Seite nach innen und bilden ein Rechteck von 2,20 m Länge und 1 m Breite. Ursprünglich waren 2 Decksteine vorhanden. Während größere herumliegende Granitbruchstücke vielleicht vom fehlenden Deckstein stammen, ruht der zweite noch vollständig erhalten auf den Tragsteinen am Nordende des Grabes. Mit einem Durchmesser von 2 m an der breitesten Stelle und einer flachen Unterseite hat dieser auf seiner gewölbten Oberseite eine Besonderheit: Auf ihr sind 17 kleine, schalenförmige Vertiefungen deutlich zu erkennen. Solche Schalen- oder Näpfchensteine werden von namhaften Vorgeschichtsforschern mit dem Beil- und Sonnenkult in Verbindung gebracht, aber auch der Gedanke einer besonderen Heilkraft des herausgeschlagenen Steinstaubes wurde geäußert, da die Schalensteine vorwiegend aus einer Granitsorte bestehen, die im Gegensatz zu normalen Decksteinen eine ganz bestimmte chemische Zusammensetzung vorweisen. Die chemischen Elemente, die in den Schalensteinen in natürlichen, unterschiedlichen Verbindungen vorkommen, sind nach Aussage von Jacob Röschmann in der Heilkunde von großer Bedeutung.
Aber nicht nur in vorgeschichtlicher Zeit, sondern auch viel später bei der Einführung des Christentums in diesem Raum spielt der Stein eine Rolle. Geschichte und Sage berichten uns, dass es sich bei dem Land rings um Sieverstedt um ein uraltes Missionsgebiet handelt. Nachdem Ansgar, der Apostel des Nordens, predigend durch unser Land gezogen war, wird uns in der hamburgischen Kirchengeschichte des Geistlichen Adam von Bremen von dem Wirken des Missionars Poppo berichtet: "Im Jahre des Herrn 966 wurden die Dänen durch einen Mann namens Poppo zum Glauben bekehrt, welcher ein feuriges und glühendes Eisen, das wie ein Handschuh geformt war, vor dem Volke einhertrug, ohne davon verletzt zu werden. Als dies König Harald sah, legte er das Heidentum ab und bekehrte sich mit seinem Volke zur Verehrung des wahren Gottes. Poppo wurde aber zum Bischof ernannt." Nach Adams Bericht im 4. Buch der Kirchengeschichte soll Poppo der 2. Bischof von Schleswig geworden sein. Ein Beweis für die Bekehrung König Haralds, auch Harald Blauzahn genannt, der nach seinem Vater, König Gorm, einem grausamen Verfolger der Christen, im Jahre 936 die Thronfolge antrat und 50 Jahre lang herrschte, ist die Runeninschrift auf dem großen Jellingestein in Dänemark, die lautet: "König Harald ließ dieses Denkmal setzen nach seinem Vater Gorm und seiner Mutter Thyra dem Harald, der sich ganz Dänemark und Norwegen unterwarf und machte die Dänen christlich."
Der Chronist Anton Heimreich schrieb in seiner 1666 in Schleswig erschienenen Nordfriesischen Chronik ebenfalls von der Bekehrung Harald Blauzahns und mehreren Wunderzeichen des Priesters Poppo. Demnach soll sich Poppo bei Helligbek ein mit Wachs bestrichenes Hemd über den Leib gezogen und angezündet haben. Das Hemd verbrannte vollständig, doch sein Körper blieb unversehrt. Dadurch wurden viele 1000 Menschen bekehrt und ließen sich taufen. Der Bach, in dem diese Handlung vollzogen wurde, hieß seitdem Helligbek (=Heiligenbach), vorher soll er als Jübeck (=Jütenbach) bezeichnet worden sein.
Die für den Poppostein zusätzlich gebräuchliche Bezeichnung Taufstein wird in einer anderen Sage verdeutlicht. Demzufolge soll der Teufel in seiner blinden Wut darüber, dass ihm so viele Seelen entrissen wurden, den Stein dem Bischof Poppo entgegengeschleudert haben, um ihn zu töten. Aber er hatte dem Fels einen zu großen Schwung gegeben, so dass er über den Kopf des Bischofs hinweg auf die Erde fiel. In den runden Vertiefungen waren noch die Fingerabdrücke des Teufels zu erkennen. Nun benutzte Poppo den Teufelsstein erst recht für sein heiliges Werk und machte ihn zum Taufstein.
All diesen Sagen und Berichten steht die neuere Geschichtsforschung skeptisch gegenüber. So ist es ihr noch nicht gelungen, einen Bischof mit dem Namen Poppo für jene Zeit festzustellen. Freerk Haye Schirmann-Hamkens meint, dass wohl jene Recht haben, die diese Sagen als eine gelehrte Erfindung ansehen, dazu bestimmt, einen unverständlich gewordenen Flurnamen zu erklären. Wahr wird allerdings der Kern all dieser Erzählungen sein, dass bei Einführung des Christentums in diesem Raum Taufen vorgenommen sind, obwohl es auf den ersten Blick sonderbar anmutet, dass Predigt und Taufe an einem einsam gelegenen und auch heute noch recht dünn besiedelten Orte geschahen. In dieser Gegend lag jedoch der Thingort des Idstedt-Syssels, auf dem die neun südlichen Harden des Herzogtums Schleswig vertreten waren und zu dem später auch die Städte Flensburg, Husum und Schleswig gehörten. Nach dem Brauch, die Thingsprache an vorgeschichtlichen Grabhügeln und Steinsetzungen zu halten, wird auch die Thinggemeinde des Idstedt-Syssels am Poppostein zusammengetreten sein. Dabei ist nicht zu übersehen, dass an der alten Kreisgrenze ein Wirtshaus Helligbek liegt, weil nicht selten an und in der Nähe der alten Thingstätten Wirtshäuser erbaut wurden.
Verständlicherweise aber gingen die Missionare des neuen Glaubens an die Plätze, an dem die Bevölkerung zusammenzukommen pflegte und wo folglich eine Predigt die größte Wirkung haben konnte. Diese Möglichkeit war offensichtlich bei Helligbek gegeben. Schirmann-Hamkens ist der Meinung, dass die Erzählung der Schleswiger Gelehrten des 16. Jahrhunderts eine Sage sei. Er führt den Namen Poppostein unmittelbar auf Poppensteen zurück, und hierbei kommt nur das niederdeutsche Wort Poppe, das Puppe = Kind bedeutet, in Betracht. Viele Steine waren nämlich früher zugleich Rechtsorte und Brautsteine, an denen in alter Zeit die Ehen geschlossen wurden, wobei die Schalen in dem Deckstein von einem Brauch bei der Eheschließung herrühren sollen, mit dem Eheschwert Funken und Feuer zu schlagen. Die gedankliche Verbindung, dass nach der Heirat Schale und Stein zum Ort der ungeborenen Kinder, zum "Kinderstein" werden konnten, lag nach Schirmann-Hamkens nicht fern.
Zum Glück fiel dieses Großsteingrab nicht der Neuzeit zum Opfer. Aufgrund eines Kaufvertrages vor über 130 Jahren ist der Taufstein von Helligbek Landeseigentum. Das Landesamt für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig besitzt folgenden "Kaufcontract" vom 14. Februar 1859: "Der Eigentümer der Hufenstelle in Poppholt, zu welcher die in der Nähe von Helligbek belegene Koppel von Arnhoi gehört, in welcher der Poppostein oder Taufstein liegt, geht mit der Absicht um, den Stein zu verkaufen … und haben darauf Allerhöchstdieselben – Sr. Majestät der König – die Erwerbung dieses Steins erforderliche Summen allergnädigst zu bewilligen geruht …" Ein Vertrag wurde aufgesetzt: "Der Verkäufer, Hufner Friedr. Petersen, verpflichtet sich, für sich und ihre Besitznachfolger, Allen und Jeden, welche den Taufstein zu sehen wünschen, freien Zutritt zu demselben, jedoch für die betr. Königl. Beamten ohne eine vorherige Meldung, jeder Zeit zu gestatten." Heutzutage kann jeder "ohne Anmeldung" den Poppostein besichtigen, der zum Kennzeichen der Gemeinde Sieverstedt wurde.
Heinz Fröhlich